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Selbstfahrende Fahrzeuge und CarSharing

Die Technologie selbstfahrender Fahrzeuge macht rasante Fortschritte. Selbstfahrende Fahrzeuge, die ohne menschlichen Eingriff und auch leer fahren können werden zu tiefgreifenden Veränderungen in der Mobilität führen. Unser Autor meint: Voll-autonome Fahrzeuge werden zum Durchbruch für das CarSharing werden.

Von Dr. Alexander Hars

Was vor fünf Jahren noch als Science Fiction galt ist inzwischen fast Realität: Ein Mercedes fuhr bereits im Jahr 2013 eine etwa 100km lange Strecke in Süddeutschland im voll-autonomen Betrieb.  Ein Testfahrzeug des Automobilherstellers Delphi folgte im Jahr 2015 und legte die Strecke von San Francisco nach New York (ca. 3400 Meilen) fast ausschliesslich autonom zurück. Im selben Jahr fuhr ein Fahrzeug der Freien Universität Berlin eine 2400km lange Strecke durch Mexiko im voll-autonomen Testbetrieb. Google's 53 selbstfahrende Fahrzeuge legen derzeit etwa 20.000km pro Woche im vollautonomen Testbetrieb vorwiegend im schwierigsten Umfeld, dem Stadtverkehr, zweier amerikanischer Städte zurück.

In den letzten Jahren hat sich die Innovationsgeschwindigkeit in diesem hochdynamischen Technologiefeld ständig erhöht. Fast alle Automobihersteller arbeiten mit Hochdruck daran den Vorsprung, den sich Google auf diesem Gebiet erarbeitet hat, aufzuholen. Sogar Toyota, das immer wieder betont hatte, nur an Assistenzsystemen, nicht aber an voll-autonomen Fahrzeugen interessiert zu sein, hat inzwischen eine Kehrtwende vollzogen und investiert eine Milliarde US Dollar in die Entwicklung selbstfahrender Fahrzeuge. Elon Musk, der Gründer von Tesla, hat angekündigt, dass seine Fahrzeuge bereits 2018 in der Lage sein werden, voll-autonom zu fahren; die rechtlichen Rahmenbedingungen könnten die Freigabe dieser Funktion allerdings noch verzögern. In England werden derzeit die ersten Tests mit selbstfahrenden Zweisitzern in der Stadt Milton Keynes gemacht, die Personen zwischen Bahnhof und Innenstadt befördern. In Wageningen in den Niederlanden sollen zwei autonome Busse in der ersten Hälfte von 2016 Studenten zwischen Bahnhof und Universität befördern und ab 2018 sollen selbstfahrende Busse auf öffentlichen Straßen um den Brüsseler Flughafen eingesetzt werden. Die chinesische Suchmaschine Baidu will bis 2018 selbstfahrende Busse auf die Straße bringen; ein ähnliches Ziel verfolgt der chinesische Bushersteller Yutong Bus.

Wie die Vorhersagen von Experten zeigen läßt sich die Entwicklung selbstfahrender Fahrzeuge nicht aufhalten. Noch vor 2020 werden in manchen Ländern die ersten vollautonomen Fahrzeuge am normalen städtischen Straßenverkehr und auf den Autobahnen teilnehmen. Auch Deutschland wird sich dieser Entwicklung nicht lange verschließen können.

Selbstfahrende Fahrzeuge, die ohne menschlichen Eingriff und auch leer fahren können werden zu tiefgreifenden Veränderungen in der Mobilität führen. Sie steigern die Attraktivität des CarSharing, denn sie machen es möglich, dass CarSharing Fahrzeuge per Smartphone angefordert werden können, darauf selbständig zum Kunden fahren, ihn zum Ziel bringen und danach für weitere Fahrten zur Verfügung stehen. Die gemeinschaftliche Nutzung von Fahrzeugen ermöglicht durch die höhere Auslastung eine erhebliche Kostensenkung pro Fahrzeugkilometer, erleichtert den Betrieb von Elektrofahrzeugen im Nahverkehr, reduziert die Anzahl der Fahrzeuge (und Stellplätze), die in einer Stadt für individuelle Mobilität benötigt werden, und senkt die ökologische Belastung durch Verkehr.

Voll-autonome Fahrzeuge werden zum Durchbruch für das CarSharing werden und den Anteil der mit CarSharing-Fahrzeugen zurückgelegten Fahrzeugkilometer an der gesamten Wegeleistung im Nahverkehr um ein Vielfaches steigern. Es ist zu erwarten, dass auf längere Sicht in mittleren und größeren Städten die Anzahl von Nahverkehrsfahrten in CarSharing-Fahrzeugen bzw. selbstfahrenden Taxis die Anzahl von Nahverkehrsfahrten im eigenen Fahrzeug erreichen oder sogar übertreffen könnten.

Selbstfahrende Fahrzeuge werden daher in allen Branchen der Mobilität erhebliche Veränderungen nach sich ziehen. Die Automobilhersteller werden sich unweigerlich auf eine global sinkende Nachfrage nach PKW einstellen müssen.  Sie werden zugleich neue Geschäftsmodelle für die gemeinschaftliche Mobilität im Rahmen von CarSharing, selbstfahrenden Taxis und Bussen entwickeln müssen. Durch selbstfahrende Fahrzeuge wird auch die Mobilitätsbranche den Sprung von der Fokussierung auf Produkte (Automobile) hin zur Dienstleistung, den so viele andere Branchen bereits vollzogen haben, durchführen. Für die Betreiber von CarSharing-Systemen werden sich durch die gestiegene Attraktivität und niedrigere Fahrtkosten eine hohe und rasch wachsende Nachfrage ergeben.

Gleichzeitig wird sich der Wettbewerb im CarSharing stark erhöhen. Große, kapitalkräftige Unternehmen - wie die Quereinsteiger Uber, Google, Lyft und andere Pionierfirmen aus den USA - sowie die CarSharing-Tochterunternehmen der Automobilhersteller werden versuchen, in diesem Markt eine Führungsposition aufzubauen. Doch die Startposition der etablierten CarSharing-Unternehmen sind nicht ungünstig, da sie über die lokalen Kenntnisse und lokale Vernetzung verfügen, die für den Betrieb gemeinschaftlich genutzter Mobilitätssysteme außerordentlich wichtig sind. Sofern sie über genügend Agilität verfügen und bereit sind, rasch zu wachsen, sollte es aufgrund der günstigen Geschäftsaussichten beim Betrieb von Flotten selbstfahrender CarSharing-Fahrzeuge auch den bereits etablierten CarSharing-Unternehmen möglich sein, Investoren zu finden, die das entsprechende Wachstum finanzieren.

Bei Mobilitätsdienstleistungen auf der Basis selbstfahrender Fahrzeuge handelt es sich um einen Markt, bei dem Netzwerkeffekte eine Rolle spielen: In einer Stadt oder Region werden sich nur wenige Flottenanbieter gleichzeitig etablieren können. Daher tendiert der Markt zu einem Oligopol oder sogar zu einem Monopol. Deshalb sind erhebliche gesetzlich Regulierungsbestrebungen zu erwarten. Für die etablierten CarSharing-Unternehmen wie auch für die etablierten Anbieter des Öffentlichen Personennahverkehr ist es daher notwendig, sich frühzeitig in diesen Prozess einzuschalten und darauf hinzuwirken, dass die Regelungen Neueinsteiger in diesem Markt nicht bevorzugen.

Die Technologie selbstfahrender Fahrzeuge wird es CarSharing-Unternehmen ermöglichen, die vielen positiven Aspekte dieses Geschäftsmodells vollständig zu entfalten. Die Vorteile, die die Vordenker des CarSharing seit Jahrzehnten hervorgehoben haben, können dadurch in einem Ausmaß realisiert werden, das bisher unmöglich war. Die Fähigkeit der Fahrzeuge, zu jedem Zeitpunkt mit nur kurzer Verzögerung dort zur Verfügung zu stehen, wo der Kunde sie benötigt ist der entscheidende Vorteil, der sowohl die Auslastung der Fahrzeuge und damit die ökonomische Vorteilhaftigkeit, als auch den Kundenkomfort (Wegfall von Park- und Verfügbarkeitsproblematik) auf eine ganz neue Stufe stellt. Langfristig könnte daher die gemeinschaftliche Nutzung selbstfahrender Fahrzeuge zum vorherrschenden Modell individueller motorisierter Mobilität werden.
 

Autor: Dr. Alexander Hars, Geschäftsführer Inventivio GmbH
Blog: https://www.driverless-future.com/

https://www.inventivio.com/

PDF-Download: http://www.inventivio.com/publications/2014/Reichweitenproblem-Elektrofahrzeuge.pdf

PDF-Download: http://www.inventivio.com/publications/2014/Flotten-selbstfahrender-Elektrofahrzeuge.pdf