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29. November 2019

CarSharing zeigt: Die Verkehrswende ist möglich

In einem am 01. Dezember 2019 veröffentlichten Aufsatz „Mobility Services:  Die große Ernüchterung“ vertritt Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Center Automotive Research der Universität Duisburg-Essen die These, dass sich angesichts eines weiterwachsenden Pkw-Bestandes in Deutschland die Bedeutungslosgkeit von Mobility Services und insbesondere von CarSharing zeige. Dudenhöffers Enttäuschung ist aber unbegründet. CarSharing hat sein Potenzial als Instrument der Verkehrswende längst bewiesen.

C: istockphoto, yotrack

Noch im Jahr 2011 war Ferdinand Dudenhöffer sich sicher: „Carsharing wird sich durchsetzen. In den nächsten zehn Jahren werden dafür in den großen deutschen Metropolen flächendeckende Systeme entstehen". Dudenhöffers derzeitige Enttäuschung ist also vor allem der Kater, der auf den Hype folgt. Schon 2011 hätten die Praktiker des CarSharing und Verkehrswissenschaftler, die sich mit der Thematik befasst hatten, ihm sagen können, dass CarSharing sich so schnell nicht durchsetzen wird. Er hat sie damals wie heute nicht gefragt.

CarSharing zeigt: Die Verkehrswende ist möglich

CarSharing befördert die Verkehrswende, das haben Studien wieder und wieder gezeigt: In innenstadtnahen Wohngebieten haben bis zu 80 Prozent der CarSharing-Haushalte kein eigenes Auto mehr. Die Pkw-Dichte in diesen Hauhalten liegt bei etwas mehr als 100 Fahrzeugen pro 1.000 Personen – also weit unter den Werten in der vergleichbaren Gesamtbevölkerung. Und sogar unterhalb der Grenze von 150 Pkw pro 1.000 Einwohner, die das Umweltbundesamt für die „Stadt für morgen“ empfiehlt. Mehr als 60 Prozent der Kund*innen sagen zugleich, CarSharing sei für sie ein vollwertiger Ersatz für ein eigenes Auto. Diese Beispiele zeigen: Eine Verkehrswende ist möglich.

Richtig ist aber auch: Der Pkw-Bestand nimmt in Deutschland immer noch zu. Zugleich findet das CarSharing-Wachstum Jahr für Jahr statt, aber auf kleiner Basis. Mit heute 2,45 Millionen Kund*innen ist CarSharing nach wie vor ein Nischenmarkt. Die lokalen Erfolge des CarSharing bei der Verkehrsentlastung können deswegen weder den Pkw-Bestand in einzelnen Städten noch den Gesamtbestand in Deutschland sichtbar beeinflussen. Dazu wäre eine weit höhere Marktdurchdringung nötig.

Warum hat CarSharing den deutschen Pkw-Markt nicht längst umgekrempelt?

Die vor kurzem veröffentlichte Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD) hat festgestellt, dass im nationalen Durchschnitt 3 Prozent der Deutschen über 16 Jahren eine CarSharing-Mitgliedschaft besitzen. Aber: In Großstädten wie Hamburg und Berlin sind bereits bis zu 20 Prozent zum CarSharing angemeldet. Hier zeigen sich erste Anzeichen, dass CarSharing die Nische verlassen könnte. Aber warum sind wir nicht längst viel weiter?

Die Antwort ist offensichtlich: Privater Pkw-Besitz und der persönliche Dienstwagen wurden in den letzten 50 Jahren politisch massiv gefördert und von der Industrie mit ungeheuren Marketing-Budgets beworben. Das hat natürlich Wirkung gezeigt. Pkw-Besitz ist für viele Deutsche zum Mobilitäts-Paradigma schlechthin geworden. Es ist ein wenig unglaubwürdig, dass ausgerechnet ein den Automobilherstellern nahestehender Wissenschaftler wie Ferdinand Dudenhöffer sich davon nun überrascht zeigt.

Für das CarSharing wurde seit seiner Erfindung im Jahr 1989 zunächst vor allem mit ehrenamtlichem Einsatz geworben, später mit kleinen Marketing-Budgets mittelständischer CarSharing-Firmen. Der große CarSharing-Hype begann erst ab 2011, als mehrere Automobilkonzerne ihre CarSharing-Produkte in einigen Großstädten auf den Markt brachten. Und die politische Unterstützung fehlte bis vor Kurzem ganz: Ein Gesetz zur Förderung des CarSharing hat der Deutsche Bundestag erst im Jahr 2017 verabschiedet. Es sieht keinesfalls Milliarden-Investitionen vor, sondern es regelt die Möglichkeit, CarSharing-Stellplätze im öffentlichen Straßenraum einrichten zu können. Das ist zweifellos ein wichtiger Fortschritt, aber es ist sicherlich noch keine Abkehr von der politischen Leitlinie, dass Verkehrspolitik in Deutschland vor allem Industriepolitik für Automobilhersteller ist. Welche Art von Revolution hatte Ferdinand Dudenhöffer vor diesem Hintergrund erwartet?

Suffizienz: Der wichtige Unterschied zwischen bedeutungslos und selten genutzt

Prof. Dudenhöffer behauptet auch, dass die zum Teil niedrige Nutzungshäufigkeit der einzelnen CarSharing-Kund*innen zeige, dass das Angebot von ihnen gar nicht angenommen oder geschätzt würde. Anders als Dudenhöffer glaubt, ist die niedrige Nutzungshäufigkeit pro Haushalt im CarSharing aber von den Kund*innen so gewünscht und von den Anbietern einkalkuliert - zumindest von den wirtschaftlich erfolgreichen.

Der Erfolg des Geschäftsmodells CarSharing zeigt sich gerade daran, dass ein wirtschaftlicher Betrieb des Systems möglich ist, obwohl die einzelnen Kund*innen zumeist andere, ökologisch verträglichere Verkehrsmittel verwenden, als das Auto. Diese gleichzeitige Ausrichtung eines Geschäftsmodells an ökologischen und an wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist Ferdiand Dudenhöffer offenbar fremd und er missversteht sie als Erfolglosigkeit. Er sollte sich damit aber näher befassen, denn so könnte sie aussehen, die neue Suffizienz-Ökonomie, die in Zeiten des Klimawandels nötig ist.

Autor: Gunnar Nehrke