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3. Februar 2023

Verkehrsminister Wissing hat ein politisches Problem: Er müsste den Deutschen die Wahrheit sagen

Bild: Wikicommons (Qualle)

Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing (FDP) weigert sich schon seit längerem, ein für ihn geltendes Gesetz ernst zu nehmen, und ein funktionierendes Klimaschutzsofortprogramm für den Verkehr vorzulegen. Im Sommer 2022 hatte Wissing dazu zwar Vorschläge gemacht, die allerdings nicht einmal sein eigener Expert*innenrat ernstnehmen wollte. Sie seien „schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Rates damals öffentlich. Seitdem ist nichts passiert. Der Minister ist in der Frage abgetaucht und betreibt bis zum heutigen Tag Arbeitsverweigerung.

Ganz anders sieht es bei einem zweiten Thema aus: Dem massiven Ausbau von Autobahnen, wie er im bis zum Jahr 2030 geltenden Bundesverkehrswegeplan vorgesehen ist. Hier entwickeln Volker Wissing und sein Ministerium derzeit erhebliche Dynamik. Den Bundesverkehrswegeplan 2030 will der Minister ohne klimapolitische Überprüfung zügig und eins zu eins umsetzen. Für 115 Straßenbau-Vorhaben mit einer Streckenlänge von rund 1.300 Kilometern will Wissing sogar zusätzlich in der Bundesregierung ein „überragendes öffentliches Interesse“ durchsetzen. Das würde beschleunigte Genehmigungsverfahren erlauben, bei denen dann unter anderem Prüfungen von natur- und klimafreundlichen Alternativen wegfallen.

Zur Begründung nimmt der Bundesverkehrsminister diesmal seine Expert*innen sehr ernst. Die sagen in ihren Verkehrsprognosen ein erhebliches Wachstum des Verkehrsaufkommens in Deutschland voraus. Für den motorisierten Individualverkehr beispielsweise erwartet das BMDV bis zum Jahr 2051 einen Anstieg um mehr als 5 Prozent. Beim Gütertransport auf der Straße soll das Wachstum noch erheblicher ausfallen. Deshalb, so der Minister, braucht es mehr Straßen und Fahrspuren.

Wissings Nichthandeln beim Klimaschutz im Verkehr und die Dynamik beim Straßenbau passen gut zusammen. Wie schon alle Verkehrsminister vor ihm möchte Wissing den Bürger*innen eine einfache Botschaft senden: Eure Mobilität wird sich nicht ändern – wir tauschen nur Motoren aus.

Er könnte der letzte Verkehrsminister sein, der damit durchkommt. Auch Volker Wissing weiß, dass ein im Pkw zurückgelegter Personenkilometer gegenüber anderen Verkehrsmitteln absurd energieintensiv ist, weil der Besetzungsgrad der Fahrzeuge sehr niedrig ist. Tauscht man nur die Verbrennungsmotoren in den Fahrzeugen gegen E-Motoren aus und lässt den ohnehin hohen Anteil des Pkw an der gesamten Verkehrsleistung bei gleichbleibenden Besetzungsgraden weiter steigen, dann wird auf diese Verkehrsart in Zukunft ein untragbar hoher Stromverbrauch entfallen. Harte Verteilungskämpfe zwischen dem Verkehr und anderen Sektoren werden dann unvermeidlich sein – Abschaltungen und Drosselungen von Ladepunkten für Pkw sowieso.

Die Alternative zum langsamen Scheitern des „Weiter so“ an der Realität wäre eine aktive Umstellung auf einen anderen, weniger energieintensiven Personenverkehr: Fahrrad, Bus und Bahn sowie weitere öffentlich zugängliche und geteilte Mobilitätsdienstleistungen lösen das Auto als vorherrschendes Verkehrsmittel nach und nach ab – zunächst in den Großstädten, dann auch in anderen Räumen. Für die (wenigen) Wege, für die die Pkw-Alternativen nicht geeignet sind, würde CarSharing als bezahlbare Form der gelegentlichen Pkw-Mobilität bereitstehen.

Aus fachlicher Sicht löst dies „Verkehrswende“ genannte Szenario zusammen mit dem Austausch der Antriebsart die meisten der heutigen Probleme im Verkehr – vom Klimaschutz bis zum Flächenverbrauch. Aus politischer Sicht wird allerdings klar, welches Problem Volker Wissing wirklich hat: Er müsste den Deutschen erklären, dass es kein „Weiter so“ im motorisierten Individualverkehr geben kann. Eine Mehrheit der Deutschen würde das vermutlich nicht gern hören. Die Automobilkonzerne würden es bekämpfen.

Als Bundesverkehrsminister ist Volker Wissing dafür zuständig, Deutschlands Verkehr zukunftsfähig und generationengerecht zu gestalten. Er sollte diese Verantwortung endlich annehmen.