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Stellungnahme zu „The Demystification of Car Sharing“ von A.T. Kearney

Berlin 12.08.2019

Das am 09. August 2019 veröffentlichte Papier „The Demystification of Car Sharing“ der Unternehmensberatung A.T. Kearney hat in der deutschen Presse einen starken Widerhall gefunden. Der Bundesverband CarSharing e.V. nimmt dazu wie folgt Stellung:

  • Das Papier der Unternehmensberatung A.T.  Kearney ist keine Darstellung des deutschen CarSharing-Marktes. Es handelt sich vielmehr um eine Auseinandersetzung mit ShareNow, dem CarSharing-Angebot der beiden Automobilkonzerne Daimler und BMW, sowie den ähnlich gelagerten Nachfolgeprodukten der Konzerne Volkswagen (WeShare) und Sixt (Sixt share). Der Zuschnitt der Angebote der genannten Anbieter ist nicht repräsentativ für das CarSharing in Deutschland.
  • Die von A.T. Kearney gezogenen Schlüsse bezüglich der Entlastungswirkung des CarSharing treffen auf die Anbieter ShareNow, WeShare und Sixt share möglicherweise zu. Für die übrigen rund 170 CarSharing-Anbieter in Deutschland sind sie hingegen irrelevant.
  • Das Papier von A.T. Kearney wird in einigen Punkten bereits von der Realität widerlegt und fällt in mehreren Punkten hinter den aktuellen Forschungsstand zum CarSharing in Deutschland zurück.

Unter anderem behaupten die Autor*innen von A.T. Kearney:

  • CarSharing lässt sich nur in einigen dicht besiedelten Stadtteilen weniger deutscher Großstädte mit mehr als 500.000 Einwohner*innen wirtschaftlich betreiben. Diese Annahme ist durch die Realität bereits widerlegt. Fakt ist: In 61 deutschen Städten mit 100.000 bis 500.000 Einwohner*innen gibt es heute mindestens ein CarSharing-Angebot. Diese Angebote existieren zum Teil bereits seit 20 Jahren und länger.
  • A.T. Kearney rechnet für die Städte Köln und Essen exemplarisch vor, dass CarSharing sich dort nicht wirtschaftlich betreiben lasse. Auch diese Annahme ist durch die Realität bereits widerlegt: Sowohl in Köln als auch in Essen gibt es CarSharing-Anbieter, die seit Jahren ohne Hilfe von Investoren oder Subventionen arbeiten. Richtig ist: CarSharing bietet keine lukrativen Gewinnmargen. Aber unmöglich zu betreiben ist das CarSharing-Geschäft nicht. Das haben die zum Teil seit mehr als 25 Jahren bestehenden deutschen CarSharing-Anbieter bewiesen.
  • A.T. Kearney behauptet, CarSharing leiste keinen oder nur geringen Beitrag zur Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs. Als Beleg wird angeführt, dass etwa 25 Prozent der befragten CarSharing-Kund*innen private Autos nutzen – unabhängig davon, wie häufig sie parallel mit dem CarSharing unterwegs sind. Die Autor*innen arbeiten hier mit einer Methodik, die für die Untersuchung von Konsumgütern angemessen gewesen wäre. Für die Ermittlung einer Entlastungswirkung durch CarSharing wäre es hingegen methodisch korrekt, den Autobesitz der Befragten im Zeitverlauf der CarSharing-Mitgliedschaft zu betrachten. Das haben die Autor*innen nicht getan. Fakt ist: Bereits in einigen Studien haben die von A.T. Kearney untersuchten reinen Free-floating-Angebote keine oder nur geringe verkehrsentlastende Wirkung gezeigt. Für die stationsbasierten und kombinierten CarSharing-Varianten wurde der Nachweis einer erheblichen verkehrsentlastenden Wirkung hingegen bereits in zahlreichen wissenschaftlichen Studien geführt.
  • A.T. Kearney behauptet, CarSharing kannibalisiere den ÖPNV. Fakt ist: In einer Langzeit-Studie aus München wird nachgewiesen, dass bei den Nutzer*innen stationsbasierter CarSharing-Angebote der Besitz von Zeitkarten für den ÖPNV im Verlauf der CarSharing-Mitgliedschaft ansteigt.

Dies sind nur vier Beispiele dafür, wie eklatant das Papier von A.T. Kearney mit der Realität und mit etablierten wissenschaftlichen Erkenntnissen in Konflikt steht.

Um den Status des A.T. Kearney-Papiers klarzumachen, möchten wir festhalten:

  • Die drei Anbieter ShareNow, WeShare und Sixt share stellen derzeit zusammen etwas weniger als die Hälfte der in Deutschland verfügbaren CarSharing-Fahrzeuge. Sie operieren nur in 7 von 740 Städten und Gemeinden, in denen in Deutschland CarSharing verfügbar ist.
  • Zusammen mit zwei kleineren Anbietern bilden die genannten Anbieter das Marktsegment des sogenannten „ free-floating CarSharing“. Die Fahrzeuge dieses Angebotstyps „floaten“ innerhalb eines Geschäftsgebiets. Die Fahrzeuge stehen für eine spontane Nachfrage nach dem Zufallsprinzip bereit. Dieser Angebotszuschnitt ist für den deutschen CarSharing-Markt keineswegs repräsentativ. Vorherrschend sind in Deutschland CarSharing-Systeme, bei denen die Fahrzeuge an festen Abhol- und Rückgabepunkten langfristig reservierbar für die jeweils in der Umgebung wohnenden CarSharing-Kund*innen bereitgestellt werden.
  • Eine Vergleichsstudie aus dem Jahr 2018 zeigt: Nur 33 Prozent der Kund*innen des free-floating CarSharing glauben, dass die Angebotsvariante „Free-floating“ ein vollwertiger Ersatz für ein eigenes Auto ist. In allen anderen CarSharing-Varianten sind hingegen jeweils über 60 Prozent der Kund*innen der Meinung, dass ihr CarSharing-Angebot ein vollwertiger Ersatz für ein eigenes Auto sei. Dieser Unterschied schlägt sich im Autobesitz unmittelbar nieder: In innerstädtischen Wohngebieten von Frankfurt, Köln und Stuttgart leben 80 Prozent der Kund*innen stationsbasierter und kombinierter CarSharing-Angebote in autofreien Haushalten. Unter den Kund*innen des Free-floating-CarSharing liegt die Quote autofreier Haushalte hingegen bei nur 32 Prozent.

Vor diesem Hintergrund erklärt der Bundesverband CarSharing e.V.:

Die im Bundesverband CarSharing e.V. organisierten Anbieter haben ihre Geschäftsmodelle in jahrelanger Arbeit darauf ausgerichtet, ihren Kund*innen für die wenigen Nutzungszwecke, für die Bus, Bahn und Fahrrad nicht geeignet sind, ein Auto zur Verfügung zu stellen. Sie zielen damit auf einen möglichst geringen Autokonsum ab. Wir hoffen, dass weiterhin immer mehr Bürger*innen in ganz Deutschland von diesem Angebot Gebrauch machen.

Die im Bundesverband CarSharing e.V. organisierten CarSharing-Anbieter und ihre Kund*innen werden auch weiterhin unbeirrt ihren täglichen, praktischen Beitrag zu einer Verkehrswende in Deutschland leisten.

CarSharing ist nur ein Bestandteil einer Mobilitätswende. Den Beitrag der Dienstleistung sollte man nicht mutwillig schlechtreden.

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Kurzinfo über den bcs: Der Bundesverband CarSharing e.V. (bcs) wurde 1998 gegründet. Er ist der Dachverband der deutschen CarSharing-Anbieter. Der bcs fördert CarSharing als moderne Mobilitätsdienstleistung und strebt eine Vernetzung mit dem öffentlichen Nahverkehr an. Ziel des Verbandes und seiner Mitglieder ist es, den Autobestand und Autoverkehr zu vermindern und die Umweltbelastung durch den Individualverkehr zu verringern. Der Bundesverband CarSharing (bcs) vertritt die politischen Interessen der Branche auf bundesweiter Ebene und gegenüber den Ländern. Im Bundesverband sind derzeit 153 Anbieter organisiert.  

Weitere Informationen zum Thema CarSharing und zur verkehrsentlastenden Wirkung der Dienstleistung finden Sie unter: http://www.carsharing.de

Kurzinfo über das CarSharing: Im deutschen Carsharing haben sich zwei Varianten etabliert: Beim stationsbasierten CarSharing stehen die Autos möglichst wohnortnah auf einem festen Parkplatz. Kunden holen den Wagen dort ab, nach der Fahrt bringen sie ihn dorthin zurück. Nur bei dieser Variante sind Reservierungen mehrere Wochen im Voraus möglich. Stationsbasiertes CarSharing ist außerdem die preisgünstigste CarSharing-Variante. Die größten deutschen Anbieter: stadtmobil, cambio, teilAuto, Flinkster, book-n-drive.

Bei der zweiten Variante, dem sogenannten Free-Floating, stehen die Autos irgendwo in der Stadt, frei geparkt. Nutzer orten und buchen sie über das Smartphone. Nach der Fahrt stellen sie den Wagen irgendwo innerhalb des Nutzungsgebiets wieder ab. Diese Variante ist nur in einigen großen Städten zu finden. Reservierungen im Voraus sind nicht möglich. Free-floating ermöglicht jedoch One-way-Fahrten innerhalb eines definierten Bereichs im Stadtgebiet. Die Preise liegen über denen des stationsbasierten CarSharings. Der größte Anbieter ist ShareNow.

In letzter Zeit haben sich darüber hinaus kombinierte CarSharing-Angebote etabliert, die stationsbasierte und free-floatende Fahrzeuge aus einer Hand anbieten. Kombinierte Angebote gibt es beispielsweise in Hannover, Mannheim, Heidelberg und Karlsruhe (stadtmobil), Frankfurt am Main (book-n-drive) und Leipzig (teilAuto).

Derzeit verfügen 740 Städte und Gemeinden in Deutschland über mindestens ein CarSharing-Angebot. In allen diesen Orten sind stationsbasierte CarSharing-Angebote verfügbar. Reine free-floating Angebote gibt es derzeit in sieben Metropolen und einigen Umlandgemeinden dieser Großstädte.

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Bundesverband CarSharing e. V. (bcs)
Gunnar Nehrke
Schönhauser Allee 141 B
10437 Berlin
Telefon: 030 - 92 12 33 53
E-Mail: gunnar.nehrke@carsharing.de